Nehrings Aufschlag

Befindlichkeiten der Führung

Wer ist eigentlich in einem Unternehmen dafür zuständig, Expertise in Bezug auf das „Ticken von Menschen in unternehmerischen Organisationen“ aufzubauen und im Konkreten zu teilen? Mangels Alternative schlage ich die Personalabteilung vor. Nicht, dass der Unternehmer oder jedes andere Mitglied sich nicht ebenso damit befassen sollte und daraus ein besseres Miteinander entstehen lassen könnte. Aber wie das immer so ist, wenn Erfahrungen aus der Vergangenheit die Menschen leiten, sie können womöglich die falschen Schlussfolgerungen gezogen haben. Es gibt vermutlich so viele unterschiedliche mehr oder minder alltagstaugliche Theorien über das „Ticken“ wie es Mitglieder in der Organisation gibt.

Im Ergebnis eine Kakophonie der Menschenbilder; es benötigt eine korrigierende Hand und zwar die des Personalers. Ich vertrete schon lange die Sicht, dass Personaler die besseren Unternehmer und Kapitalisten sein sollten, um die Eitelkeiten von Unternehmer und Geschäftsleitung zum Wohle der Organisation auszubremsen. Von Buchhaltern, Marketinglern oder Produktionsleuten kann man das qua Amt nicht wirklich erwarten.

Kürzlich las ich von einer Führungskraft, dass sie gelegentlich von Selbstzweifeln bewegt wird und dies auch offenbarte. Es war ein komplettes sich Infrage stellen. Es ging nicht darum, mit einer getroffenen Entscheidung oder Maßnahme oder Führungssituation zu hadern, sondern mit sich in der Rolle in Gänze. Offenbart auf LinkedIn. Hunderte von Likes und zustimmenden Kommentaren, gefühlig, emotional, seelenverwandt.

Dieser LinkedIn Post ist kein Einzelfall. Immer öfter kehren Führungskräfte ihre Verletzlichkeit nach außen, entzünden ihr inneres Lagerfeuer für eine äußere Wirkung und ernten Applaus. Ein Trend? Es ist davon auszugehen, dass immer mehr Führungskräfte ihre Befindlichkeiten auch am Arbeitsplatz vorleben.

Spätestens dann sollte der unternehmerische Personaler das Gespräch mit der Führungskraft suchen. Zwar lassen sich Selbstzweifel, Verletzlichkeit und depressive Verstimmungen nicht per Knopfdruck ausschalten, doch sind sie eine Zumutung für die Gruppe der Geführten. Was sollen denn die Mitarbeiter denken und wie sich dazu verhalten, wenn in einer Führungssituation der Leader sich die Wunden leckt, Nabelschau betreibt oder depressiv verharrend nicht führt? In diesen Momenten findet Führung nicht statt. Dafür ist aber die Führungskraft da! Schlimmer noch: Einige Mitarbeiter haben ein ausgeprägtes Näschen für Schwäche und kleben Etiketten, die selbst dann noch an der Führungskraft haften, wenn die Selbstzweifel überwunden sind. Die Sichtbarkeit der Befindlichkeit einer Führungskraft ist also keine gute Idee, weder in der konkreten Führungssituation, noch für die Führungskraft, auch nicht für die Geführten und schon gar nicht für den Unternehmenszweck der Leistungserstellung.

Wie also als Personaler damit umgehen? „Wer keine Hitze verträgt, hat in der Küche nichts verloren“, sagte US-Präsident Truman einst. Das wäre eine radikale Lösung, die sich nur dann anbietet, wenn die Befindlichkeit sich bereits verstetigt hat. Disziplin, also Muttis Aufforderung, sich jetzt mal zusammenzureißen, ist recht wirksam. Geheult wird dann zu Hause (der Ehepartner dankt). Ich plädiere auch für Coachings außerhalb des Unternehmens oder Auszeiten, sofern das betrieblich möglich ist. Von internen Führungskreisgesprächen ist eher abzuraten, da haben alle ein Näschen für Schwäche und für die nächste Konfrontation zwischen Abteilungsleitern wurde dann Munition frei Haus geliefert. Besser wäre gar, im Vorfeld über Befindlichkeiten mit angehenden Führungskräften zu sprechen oder bei der Einstellung/Beförderung bereits das Thema im Auge zu haben. Oder einfach merken: In der Führung geht es nicht um die Führungskraft!



Credit

Autor: Christoph Nehring, Gründer & Gesellschafter HAPEKO

Foto: Nick Gurr / HAPEKO